Bist du ein Reisender ohne Auto oder einfach gerne Masochist? Dann bist du sicher schon mit der Bahn gereist. Diese Reise beginnt immer an einem Bahnhof, in neudeutscher Übersetzung auch gerne „Assitreff“ oder „letzte Gelegenheit für ein Geschenk“ genannt.
Es gibt 3 Arten von Bahnhöfen in Deutschland. Bahnhof 1 ist hinter einem Maisfeld nicht mehr zu erkennen und wenn dort ein Zug hält, wird im Dorf ein Lamm geopfert. Bahnhof 2 erinnert an ein Theater oder Opernhaus mit gefühlt 200 Gleisen, von denen allerdings an 190 gebaut wird. Und das Ersatzgleis erreichst du nur, wenn du 2km um den Bahnhof herumläufst, 1 Treppe hinuntersteigst, 1 Mal mit dem Lift hochfährst und anschließend Harry, Ron und Hermine durch die Wand folgst. Bahnhof 3 ist die häufigste Bahnhofart und erinnert an eine barocke Ruine oder Sakralbau mit einer Beschriftung, die seit 3 Generationen niemand mehr entschlüsseln kann. Wenn du durch die heulenden Schwingtüren schreitest, fühlst du dich wie ein Archäologe auf Entdeckungsreise und die Einheimischen berichten dir von Bahnschaltern und Läden, die nur geöffnet sind wenn die Sonne zur Sommersonnenwende einen Geheimschalter im Warteraum aktiviert.
Egal welcher Bahnhof dich erwartet, du erreichst irgendwann dein Gleis und clever wie du bist, hast du reserviert. In der Theorie suchst du dir jetzt den Wagen der deinen Sitz beherbergt an der allwissenden Tafel heraus und begibst dich in den gekennzeichneten Abschnitt, an dem dieser Wagen hält. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die Wagenreihenfolge ausgewürfelt wurde. Du weißt erst was Hochleistungssport wirklich ist, wenn du von Abschnitt A nach Abschnitt F gelaufen bist. Denn du willst dich nicht durch 10 Wagen kämpfen. So lang ist keine Fahrtzeit in Deutschland. Hast du erste Klasse gebucht, ist der Warteabschnitt teilweise sogar neben dem Gleis im Gestrüpp, ohne Überdachung, als kleines Dankeschön für den Aufpreis.
In manchen Wagen kannst du überhaupt nicht reservieren. Das ist zur Unterhaltung der Zugbegleiter gedacht und erinnert an die Arenen in Rom. Da werden die Menschen zu erbarmungslosen Gladiatoren, die um den letzten Platz kämpfen. Lauter herum gestikulierende Extremitäten sind die Folge. Die Verlierer spielen anschließend Twister auf dem Waggonboden, der dritten Klasse bei der Bahn. Linker Fuß hierhin, rechte Hand dorthin und schon ist man mit fremden, schwitzenden Menschen verknotet. Wenn du durch so einen Waggon durchlaufen musst, ist es wie einen Dschungel zu durchqueren. Nur ohne Machete, das wäre ja eine riesige Sauerei. Jedenfalls musst du aufpassen wo du hin trittst, was du anfasst und vor allem einatmest.
In manchen Zügen gibt es immerhin ein Bistro, in der ersten Klasse sogar mit Sitzgelegenheit. Das Frischeste dort sind jedoch die Kekse und um die zu bekommen, ist der Verkäufer befugt Kreditverträge anzubieten, denn die Preise sind saftig. Kannst du dir derlei nicht leisten, frage den Verkäufer einfach ob er deine Diestelbrause kaltstellt oder deinen Cheeseburger in der Mikrowelle aufwärmt. Ich habe allerdings nie eine Person getroffen, die sich das getraut hat. Vielleicht gerade deswegen. Ich weiß auch bist heute nicht, ob die Verkäufer essen würden, was sie dort verkaufen. Bei der Folgefrage ist es dann auch schon egal.
Wenn du dich glücklich schätzen kannst, ist die Fahrt nach 3 Stunden Verspätung, 4 verpassten Anschlusszügen und 10 Jahren verkürzter Lebenszeit vorbei und mit viel Glück hast du dir deinen Weg nach draußen frei gekämpft. Du sinkst zu Boden, küsst den Bahnsteig an einer Stelle zwischen Zigarettenstummeln und Heftpflastern und nachdem du den Punkern und Bettlern aus dem Weg gehst, wird dir schmerzlich bewusst, dass du Bahncard-Kunde bist und du weißt was das bedeutet.
Auch wenn diese Reise zu Ende ist, ist deine Odyssee mit der Bahn noch lange nicht beendet.